Veränderungen verstehen und mitgestalten
Der digitale Wandel verändert die Arbeitswelt rasant. Die IG BCE startete mehrere Projekte, um die Veränderungen besser zu verstehen, die Arbeit von Betriebsräten zu stärken und möglichen Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenzutreten.
Die Gestaltung der Digitalisierung ist für die IG BCE und ihre Branchen eine zentrale Zukunftsaufgabe. In der dafür eingesetzten Zukunftskommission „Digitale Agenda“ hat ein interdisziplinäres Team in der zurückliegenden Wahlperiode intensiv die digitale Transformation beleuchtet. Zwei Jahre lang ordnete die Kommission Themen wie Wirtschafts- und Industriepolitik, Arbeit und soziale Absicherung sowie betriebliche Gestaltung und Mitbestimmung ein. Sie legte im Herbst 2020 ein Thesenpapier vor – mit einem differenzierten Ergebnis. Demnach bietet der digitale Wandel Werkzeuge, um die Arbeitswelt besser und humaner zu gestalten. Die Digitalisierung vermag aber auch Unsicherheit und Ungleichheit zu verstärken. Wichtige Forderung der Kommission: ein neues Verständnis von Arbeit entwickeln, das auch neue und Mischformen von Arbeit abdeckt und absichert. Transferzonen sollten Flächentarifverträge ergänzen und das Netz tariflich vereinbarter Arbeitsbedingungen vergrößern. Es sollte Angebote für freiberuflich Schaffende, Crowdworker*innen und für prekär Beschäftigte geben. Auch die administrativen Instrumente des Sozialstaats müssen mit der Digitalisierung mithalten. Die Kommissionsarbeit fand ihre Fortsetzung in der Teilnahme der IG BCE am „Union Hack“ im November 2020. Der gewerkschaftsübergreifende Hackathon – ein Workshop rund um Technologiefragen – befasste sich mit digitaler Gewerkschaftsarbeit der Zukunft.
Was denken die Beschäftigten?
Um den digitalen Wandel der Arbeitswelt besser zu verstehen, sind die Stimmen der Beschäftigten besonders wichtig. Die Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE entwickelte gemeinsam mit der Goodwork GmbH den Monitor Digitalisierung, um ihre Wahrnehmung des digitalen Wandels zu erfragen. 2019 nahmen mehr als 14.000 Beschäftigte aus mehr als 600 Betrieben an einer Befragung teil. Das Projekt bietet Einblicke in zwölf IG-BCE-Branchen. Es zeigt, wie Beschäftigte Digitalisierung erleben, wie Technologie ihre Arbeit verändert und welchen Einfluss sie auf das Wohlbefinden hat. Einer großen Zuversicht stehen auch Sorgen um die berufliche Zukunft gegenüber. Die Studie zeigt aber auch, dass Beschäftigte überwiegend selbstbewusst mit dem Wandel umgehen. Ängste vor Arbeitslosigkeit gibt es weniger, stärker dagegen Klagen über eine wachsende Arbeitsbelastung. Zudem wollen Beschäftigte besser in die Digitalisierungsstrategie ihrer Betriebe eingebunden werden. Es fehlt ihnen oft an Fortbildungsmöglichkeiten; Stress und Arbeitsverdichtung sind verbreitet.
Mehr als 14.000 Beschäftigte aus mehr als 600 Betrieben nahmen am Monitor Digitalisierung teil. Die Befragung bietet Einblicke in zwölf IG-BCE-Branchen.
Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung der Arbeitswelt zusätzlich beschleunigt und Homeoffice – dort, wo es möglich war – zeitweise zur dominierenden Arbeitsform gemacht. Nach der Pandemie wird es ein wesentlicher Faktor bleiben. Homeoffice und andere Formen der mobilen Arbeit erschweren den Gewerkschaften jedoch den direkten Dialog mit den Beschäftigten. Es mangelt oft an der Bereitschaft der Arbeitgeber, den Gewerkschaften auf digitalem Weg – über betriebliche Kommunikationsmittel – einen Zugang zu den Kolleg*innen zu gewähren. Dabei müssen Gewerkschaften die Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen erreichen können – und haben auch das Recht dazu. Dieses digitale Zugangsrecht wird die IG BCE nun erstreiten – auf politischem, tarifvertraglichem und auch auf juristischem Weg. Entsprechende Forderungen wurden anlässlich des Entwurfes des Betriebsrätestärkungsgesetzes sowie der Initiativen zur Stärkung der Sozialpartnerschaft an die Politik adressiert. Mitbestimmung und das Zugangsrecht müssen mit der Digitalisierung Schritt halten. Im Mai 2021 beschlossen die IG BCE und der Arbeitgeberverband der Deutschen Kautschukindustrie die bundesweit erste Sozialpartnervereinbarung zum digitalen Zugangsrecht.
Neue Projekte fördern den Austausch miteinander
Die IG BCE will diesen Wandel auch konkret vor Ort mitgestalten. So hat sich der Landesbezirk Nordrhein mit anderen Gewerkschaften am Projekt „Arbeit 2020+ in NRW“ beteiligt. Es hilft Betriebsräten, die Interessen der Beschäftigten auch im digitalen Wandel besser zu vertreten. Das Land Nordrhein-Westfalen und der Europäische Sozialfonds fördern das Vorhaben. Gemeinsam mit Betriebsratsgremien, Geschäftsführungen und Belegschaften untersuchten die Projektpartner*innen die Folgen der Digitalisierung in mehr als zwölf Betrieben. Zum Einsatz kam die Betriebslandkarte Arbeit und Industrie 4.0. Diese Workshopmethode verschafft einen genauen Überblick über Einzelstandorte und ist beteiligungsorientiert. Das ermöglichte den Austausch von Beschäftigten aus verschiedenen Unternehmensbereichen. Sie wird weiterentwickelt und steht künftig auch in digitaler Form für die Betriebsratsarbeit bereit. Zusätzlich gibt es ein neues Netzwerk für Betriebsräte, die mit IT-Themen befasst sind.
Ein neues Dialogformat bringt Arbeitgeber, Betriebsräte und Gewerkschaft zusammen: Die IG BCE gewann den Bundesarbeitgeberverband Chemie für das 2016 etablierte Austauschforum WORK@industry 4.0 (WAI40). In Workshops kommen seither Fachkräfte aus der Branche zusammen. Betriebsratsmitglieder und Führungskräfte denken gemeinsam – frei und lösungsorientiert – über die digitale Transformation nach. Denn diese ist mehr als nur die Einführung neuer Technologien; sie verändert das Arbeitsleben grundlegend. Der sozialpartnerschaftliche Dialog soll Antworten auf neue Fragen finden – und auch die Menschen mitnehmen. Über die WAI40-Methode entstehen unter anderem Praxisleitfäden, etwa zu modernen Führungsmethoden in der digitalen Arbeitswelt oder zum Verständnis von gutem und gesundem Arbeiten. Diese und andere Ergebnisse dienen den Chemie-Sozialpartner*innen als Orientierungsrahmen. Der innovative Branchendialog will weiter dafür sorgen, dass das Thema Digitalisierung in der betrieblichen Wirklichkeit ankommt.