Energiewende braucht mehr Tempo
Die Transformation des Energie- und Industriesektors wird nur gelingen, wenn die Alternativen zu konventionellen Energieträgern vorangetrieben werden. Dafür setzt sich die IG BCE seit Jahren mit Nachdruck ein.
Um die klimagerechte Transformation der Industrie voranzutreiben, wird sich der Bedarf an grünem Strom in den kommenden Jahrzehnten vervielfachen. Allein der Strombedarf der deutschen Chemie wird ab Mitte der 2030er-Jahre auf 628 Terawattstunden jährlich steigen, was mehr als der gesamten deutschen Stromproduktion von 2018 entspricht. Das ist ein Kernergebnis einer Branchenstudie, an der auch Fachleute der IG BCE beteiligt waren.
Auch die Kosten steigen rasant. Die Unternehmen müssten allein für die Herstellung der sechs in der Studie untersuchten chemischen Produkte von 2020 bis 2050 rund 45 Milliarden Euro mehr investieren, den größten Teil davon wiederum ab 2040. Dabei ist schon vorausgesetzt, dass der Strom für die Wasserstoffelektrolyse und andere Prozesse nicht mehr als vier Cent pro Kilowattstunde kostet.
Die IG BCE setzt sich seit Jahren für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energieträger und Netze sowie für bezahlbaren „Grünstrom“ ein.
Für bezahlbaren „Grünstrom“
Diese Erkenntnisse konnten frühzeitig in Veranstaltungen mit Betriebsräten der chemischen Industrie und auf der Hauptamtlichentagung 2019 in die Überlegungen zur neuen Industriepolitik der IG BCE eingebracht werden. Die IG BCE hat sich sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit über den gesamten Berichtszeitraum hinweg für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energieträger und Netze sowie für bezahlbaren „Grünstrom“ eingesetzt. Nur so lässt sich Industriearbeit in der Transformation sichern und weiterentwickeln.
Dazu gehört auch eine Reform des Förderregimes. Wiederholt hat die IG BCE eine Finanzierung der Erneuerbare-Energien-Umlage aus dem Bundeshaushalt gefordert. Dass Endverbraucher die Umlage unabhängig vom Einkommen über den Strompreis bezahlen, ist sozial ungerecht. Inzwischen verfolgt auch die Bunderegierung das Ziel – wenn auch nur sehr langfristig und bis auf einen begrenzten Einstieg noch unverbindlich –, die EEG-Umlage aus Steuermitteln zu finanzieren.
Engagiert im „Nationalen Wasserstoffrat“
Wasserstoff gilt als zentrales Speichermedium, um besonders energieintensive Anlagen klimaneutral umbauen zu können. Das IG-BCE-Innovationsforum Energiewende e.V. (If.E) förderte und veröffentlichte schon 2018 einen Potenzialatlas Wasserstoff in Deutschland, der klarmachte, dass Wasserstoff mittelfristig zum zentralen Baustein einer sicheren, nachhaltigen und wirtschaftlichen Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien werden wird. Auf seinem Innovationskongress präsentierte das If.E schon im Frühstadium konkrete Kooperationsprojekte, etwa von BP, Linde und E.ON, zum Ersatz von grauem durch grünen Wasserstoff im Raffinerieprozess.
2020 war die von der Bundesregierung vorgelegte „Nationale Wasserstoffstrategie“ für die IG BCE ein überfälliger Schritt auf dem Weg zu einer klimagerechten Transformation der Industrie. Mit der Strategie beschloss die Bundesregierung auch die Einrichtung des „Nationalen Wasserstoffrates“ mit der Aufgabe, die Bundesregierung durch Vorschläge und Handlungsempfehlungen bei der Umsetzung und Weiterentwicklung der Wasserstoffstrategie zu beraten und zu unterstützen. Als einziger Gewerkschafter wurde der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis in das Gremium berufen.
Auch mit diversen weiteren Veranstaltungen und Publikationen konnte das If.E in den letzten vier Jahren zu einer Verbesserung des Informationsaustausches und einer Schärfung des Bewusstseins bezüglich der Energiewende beitragen – dazu gehörten etwa eine Betriebsrätekonferenz und ein Innovationskongress sowie mehrere Studien. 2019 diskutierte die If.E-Mitgliederversammlung die thematische Neuausrichtung des If.E auf energiewendespezifische Fokusthemen der Transformation zu Treibhausgasneutralität, einschließlich der Aktivitätenplanung einer Wasserstoffkampagne in Verbindung mit einem Transformationskongress.
Neue Aufgaben für Raffinerien
Als Reaktion auf drastische Restrukturierungen in den vergangenen beiden Jahrzehnten wurde 2013 das IG-BCE-Branchenforum Mineralölverarbeitung gebildet. Darin sind Mitbestimmungsvertreter*innen fast aller Raffinerien Deutschlands und die sie betreuenden Gewerkschaftssekretär*innen vertreten. In der Regel finden zwei Sitzungen im Jahr als Präsenzveranstaltung an unterschiedlichen Orten statt. Inhaltliche Schwerpunkte sind Arbeitsplatzbedingungen, technologische Herausforderungen und die Weiterentwicklung der Betriebe vor dem Hintergrund sich ändernder Rahmenbedingungen. Klimaschutzmaßnahmen in Industrie-, Verkehrs- und Wärmesektoren führen zu einem Wandel in den Absatzmärkten der Raffinerien. Der Bedarf an Mineralölprodukten der wichtigsten Kund*innen der Raffinerien sinkt bis 2030 zunehmend, danach sehr dynamisch. Das Branchenforum will Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe als entscheidende Bausteine für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende vorantreiben und die Arbeitsplätze in den Raffinerien entsprechend weiterentwickeln.