Schutz in der Krise

Strompreise

„Bezahlbare Energie jetzt“: IGBCE-Mitglieder in Duisburg.

Foto: Markus Feger

Mobilisiert im Kampf für günstigen Strom

Politischen Einfluss geltend gemacht, Allianzen geschmiedet, zu Zehntausenden auf die Straße gegangen: Die IGBCE hat in der Krise nichts unversucht gelassen, um die Jobs in der stromintensiven Industrie zu sichern.

Die durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöste Gaskrise hatte schnell auch Folgen am Strommarkt. Die Preise stiegen auch hier rasant in die Höhe. Im Jahr 2020 lagen die Strompreise am Spotmarkt zumeist zwischen 30 und 50 Euro je Megawattstunde. Kurz nach dem Angriff Russlands Ende Februar 2022 stiegen die Preise bereits auf 300 bis 400 Euro je Megawattstunde. Im Herbst 2022 war die Spitze bei mehr als 650 Euro je Megawattstunde erreicht.

Hauptursache war der Erdgaspreis, der infolge der Verunsicherung über konstante Verfügbarkeit rasant anstieg und im Strommarkt zum preissetzenden Energieträger wurde. Seither haben sich die Preise am Strommarkt wieder etwas normalisiert, Anfang 2025 kostete die Megawattstunde allerdings weiterhin mehr als 100 Euro und war damit mehr als doppelt so teuer wie vor dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine.

Davon waren nicht nur die privaten Haushalte betroffen, noch gravierender sind die Folgen für die Industrie und hier vor allem die energieintensiven Branchen der IGBCE. Das deutsche Strompreisniveau war schon vor der Krise im internationalen Wettbewerb zu hoch. Doch 2023 lag es bei dem Dreifachen des französischen, dem Vierfachen des amerikanischen und dem Siebenfachen des chinesischen Niveaus. „Unsere horrenden Energiekosten haben sich zur schwersten Bürde für den Industriestandort Deutschland entwickelt“, konstatierte der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis.

Die Folgen wurden längst offensichtlich. Viele Unternehmen schalteten Anlagen ab, weil die Produktion entweder rote Zahlen schrieb oder man mehr damit verdienen konnte, bereits früher billiger eingekaufte Strommengen nicht zu nutzen, sondern am Spotmarkt weiterzuverkaufen. Im Jahr 2023 verstärkte die IGBCE noch einmal massiv den Druck auf die Politik. Sie müsse den energieintensiven Unternehmen „dringend Rahmenbedingungen bieten, die sich auf Augenhöhe mit denen anderer Industrienationen bewegen“.

IGBCE-Vorstand Alexander Bercht spricht auf dem Aktionstag zum Brückenstrompreis in Berlin.

Foto: Merlin Nadj-Torma

IGBCE fordert früh Industriestrompreis

Das Problem kann sich schnell zu einem Nachteil für die gesamte Industrie auswachsen. Die energieintensiven Branchen stehen am Anfang nahezu aller industriellen Produktionsprozesse. Wenn sie die Produktion stoppen oder gar stilllegen, leidet die gesamte folgende Wertschöpfungskette. Deshalb setzte sich die IGBCE sehr früh für einen fairen Industriestrompreis ein – einen staatlich reduzierten Preis, der gekoppelt wird an Bedingungen wie Investitionen in Modernisierung und klimagerechte Transformation, Standortgarantien und Tariftreue.

Das sei „ein klares Signal der Standortstärkung“, so der IGBCE-Vorsitzende Vassiliadis. „Einen Exodus der energieintensiven Branchen können wir uns auch für die Transformation nicht leisten.“ Die Herausforderung ist, dass sich die Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 nach und nach von den Energieträgern Kohle, Öl und Gas verabschieden muss. Das geht in den meisten Fällen nur über eine Elektrifizierung der Produktion. In diesen Strukturwandel jedoch wird niemand investieren, wenn er sich nicht rechnet.

Die Gefahr sah auch das Bundeswirtschaftsministerium und legte im Mai 2023 ein Konzept für einen Brückenstrompreis vor. Er sollte bei sechs Cent pro Kilowattstunde liegen und bis maximal 2030 für energieintensive Branchen gelten, die im internationalen Wettbewerb stehen. Ansonsten galten Bedingungen vergleichbar denen der IGBCE. Innerhalb der Ampelregierung war der Vorstoß jedoch umstritten.

Das Argument, ein Industriestrompreis sei mit dem EU-Beihilferecht nicht vereinbar, war dabei mutmaßlich nur vorgeschoben. Denn schon Mitte Juni 2023 legte die Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE ein juristisches Gutachten der renommierten Wirtschaftskanzlei Becker Büttner Held vor, wonach die Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, weil sie einen legitimen klimapolitischen Zweck verfolge und weil sie „wegen der internationalen Wettbewerbssituation (…) erforderlich (…) und angesichts der angedachten Ausgestaltung auch geeignet und angemessen (…) wäre“.

Einen Exodus der energieintensiven Branchen können wir uns auch für die Transformation nicht leisten.

Michael Vassiliadis

Die Vorsitzenden Christiane Benner (IG Metall) und Michael Vassiliadis Seit an Seit in Duisburg.

Foto: Bernd Röttgers

„Allianz pro Brückenstrompreis“ gegründet

Im August 2023 schließlich gründete die IGBCE gemeinsam mit DGB, IG Metall und diversen Industrieverbänden die „Allianz pro Brückenstrompreis“, um den Druck auf die Regierungsparteien noch einmal zu erhöhen. Die Mitglieder der Allianz vertraten mehr als 1,1 Millionen Beschäftigte in über 8.000 Unternehmen der energieintensiven Industrien. An ihnen allein hängen bis zu 2,4 Millionen Arbeitsplätze und jährlich gut 240 Milliarden Euro Wertschöpfung sowie rund 90 Milliarden Euro Steuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträge.

Die Allianz warnte, es sei „fünf vor zwölf“ für die energieintensiven Industrien. Längst drohten Verlagerungen, Standortschließungen und der Verlust von Arbeitsplätzen. Man bekenne sich zum Industriestandort Deutschland und der Transformation zu einer klimaneutralen Produktion. Strom werde dabei immer wichtiger. Bis dieser in ausreichenden Mengen aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stehe, sei ein wettbewerbsfähiger, zeitlich begrenzter Brückenstrompreis dringend notwendig. „Nach monatelangem Hickhack“ müsse nun eine Entscheidung für die Zukunft der Industrie in Deutschland getroffen werden. Die Allianz bekam schnell Unterstützung aus den Bundesländern. Anfang September verabschiedeten alle 16 Ministerpräsident*innen bei einer Sitzung in Brüssel eine gemeinsame Erklärung, in der sie sich ebenfalls geschlossen für einen Brückenstrompreis starkmachten. Doch die Bundesregierung ließ kein Einlenken erkennen. Auch beim Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz beim Beirat der IGBCE Ende September 2023 blieben konkrete Zusagen aus.

Großdemo bei BASF in Ludwigshafen.

Foto: Daniel Kirst

Zehntausende IGBCE-Mitglieder auf den ­Straßen

Schließlich machten die Gewerkschaften Druck auf der Straße und in den Betrieben. Allein die IGBCE-Mitglieder stellten im Herbst 2023 rund 200 Aktionen mit mehr als 30.000 Teilnehmenden auf die Beine. Die Palette der Aktionen in den energieintensiven Branchen wie Chemie, Glas, Keramik oder Papier reichte von großen Demonstrationen, politischen Mittagspausen, Tor­aktio­nen, Betriebsversammlungen bis zu Diskussionsveranstaltungen und Aktionstagen. Allein bei der größten Demonstration in Ludwigshafen gingen mehr als 8.000 BASF-Beschäftigte auf die Straße, weitere Großveranstaltungen gab es in Leverkusen, Uerdingen und Dormagen sowie eine gemeinsame Kundgebung von IGBCE und IG Metall in Duisburg.

Die Umsetzung scheiterte letztlich maßgeblich am Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt und zur Nutzung von Mitteln aus der Corona-Zeit im Klima- und Transformationsfonds vom November 2023. In der Folge gab es dennoch Erleichterungen für die Industrie bei den Energiepreisen, da sie weiterhin unter kaum wettbewerbsfähigen Strompreisen im internationalen Wettbewerb leidet. So wurde die EEG-Umlage in den Haushalt überführt, was die Verbraucher*innen entlastet. Auch die Stromsteuer wurde auf das europäische Mindestmaß reduziert. Beides waren Forderungen der IGBCE bereits auf dem 7. Ordentlichen Gewerkschaftskongress, die nun ihre politische Umsetzung fanden. Die neue schwarz-u Bundesregierung plant darüber hinaus weitere Maßnahmen einschließlich eines Industriestrompreises.