Arbeit im Wandel

Fachkräftemangel

Foto: Carolin Weinkopf

Fachkräftepolitik
mit Weitblick

Wie die IGBCE den Arbeitsmarkt gestalten will

Der Fachkräftemangel bedroht die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Industrie. Die IGBCE hat daher einen umfangreichen Maßnahmenkatalog entwickelt, um gezielt gegensteuern zu können.

Der Fachkräftemangel ist kein neues Phänomen, spitzt sich aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland aber immer weiter zu. Für die IGBCE ist daher klar: Der Mangel an qualifizierten Fachkräften bedroht nicht nur einzelne Unternehmen oder Branchen, sondern die Zukunftsfähigkeit des gesamten Industriestandorts. Zur Lösung hat die Organisation daher im Berichtszeitraum eine Reihe an Maßnahmen, Initiativen und Kampagnen ins Leben gerufen. Dabei hat die IGBCE aber nicht ausschließlich die demografische Entwicklung im Blick. Auch unzureichende Personalplanung, mangelnde Qualifizierungsstrategien und betriebliche Versäumnisse bei der Weiterbildung verschärfen die Situation zusätzlich und werden von der Organisation daher ebenfalls aufgegriffen.

Rückenwind bekommt die Gewerkschaft dabei von ihren Mitgliedern: In einer repräsentativen IGBCE-Umfrage gab eine große Mehrheit an, die Arbeitgeber hätten die Tragweite des Problems bisher noch nicht ausreichend realisiert. Für 75 Prozent der Befragten hat die Mangellage strukturelle Ausmaße angenommen. Sie geben an, in ihrem Betrieb gebe es generell nicht genug Beschäftigte für die Arbeit, die erledigt werden muss. „Die Arbeitgeber müssen endlich anfangen, dieses Problem als das zu erkennen, was es ist: nämlich eine kolossale Wachstumsbremse“, erklärt der für Fachkräfte zuständige IGBCE-Vorstand Alexander Bercht.

Dabei erscheint die Lage am Arbeitsmarkt auf den ersten Blick paradox: Während der Fachkräftemangel immer größer wird, steigt gleichzeitig auch die Arbeitslosenquote seit einiger Zeit wieder an. Einer der Gründe: Während derzeit vor allem an- und ungelernte beziehungsweise nicht ausreichend qualifizierte Beschäftigte freigesetzt werden, können offene Stellen wegen fehlender Qualifikation oft nicht adäquat besetzt werden. Etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland haben keinen Berufsabschluss, darunter 2,9 Millionen junge Leute im Alter zwischen 16 und 25 Jahren. Genau hier setzt die IGBCE an mit gezielten Projekten zur Qualifizierung und Vermittlung.

Ein zentrales Projekt ist der gemeinsam mit den Sozialpartnern entwickelte Fachkräfteradar. Die Plattform bringt Unternehmen mit Fachkräftebedarf und Beschäftigte zusammen, deren Arbeitsplätze durch Transformation oder Standortschließungen gefährdet sind. Ziel ist es, Know-how in der Branche zu halten, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und Perspektiven für Auszubildende und Fachkräfte zu schaffen. Nach erfolgreichem Start 2024 auf regionaler Ebene wurde die Plattform im April 2025 bundesweit ausgerollt. Die Laufzeit ist zunächst auf zwei Jahre angesetzt.

Die Arbeitgeber müssen anfangen, das Problem als kolossale Wachstumsbremse zu erkennen.

Alexander Bercht

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Qualifizierung als Schutz vor Arbeitslosigkeit

Auch für die Gruppe der an- und ungelernten Beschäftigten will die IGBCE neue Perspektiven schaffen. Ein Weg: Das im April 2024 eingeführte Qualifizierungsgeld ein Instrument aus dem neuen Weiterbildungsgesetz, das unter maßgeblicher Mitwirkung der IGBCE gestaltet wurde. Es ermöglicht betrieblich entwickelte Modelle, um Beschäftigte gezielt weiterzubilden insbesondere dann, wenn der Bedarf überdurchschnittlich hoch ist. Anders als beim Kurzarbeitergeld steht hier nicht der wirtschaftliche Abschwung im Vordergrund, sondern Qualifizierung als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung der Beschäftigten.

Bereits seit dem Tarifabschluss 2019 treibt die IGBCE die betriebliche Weiterbildung voran. Mit dem Instrument Future-Skills-Report wurde eine systematische Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs ermöglicht. Hinzu kamen das Analyse-Tool Pythia und branchenspezifische Beratungsangebote für Beschäftigte ebenso wie für Unternehmen. Ziel ist es, den Wandel mit Wissen zu gestalten statt von ihm überrollt zu werden. Gemeinsam mit dem QFC (Qualifizierungsförderwerk Chemie) beteiligt sich die IGBCE am Projekt „Weiterbildungsmentoren“ im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Vertrauensleute und Betriebsrät*innen werden dabei zu betrieblichen Ansprechpersonen für Qualifizierungsfragen ausgebildet und können den Wandel in den Unternehmen so aktiv begleiten und mitgestalten.

Ein Motiv aus der Jugend-Kampagne „Ohne Ausbildung keine Zukunft“.

Neue Impulse durch Betriebsräte

In Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung hat die IGBCE Denkwerkstätten organisiert. Im Austausch haben die Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben strategische Perspektiven und konkrete Lösungen für die drei großen Trends der Arbeitswelt entwickelt: Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel. Dabei wurde deutlich: Betriebsräte sind mehr denn je gefragt. Wenn Staat, Markt und Management nicht liefern, übernehmen sie Verantwortung – gestalten Transformation, sichern Beschäftigung und treiben ihre Unternehmen voran. Diese Rolle will die IGBCE stärken – durch Qualifizierung, Beratung und politische Unterstützung.

Mit „Fachkräfte fallen nicht vom Himmel ohne Ausbildung keine Zukunft“ hat die Gewerkschaft 2023 außerdem eine bundesweite Kampagne ausgerollt. Mit Betriebsvereinbarungen will die IGBCE die Zahl der Ausbildungsplätze in ihren Branchen wieder steigern. Trotz eines um sich greifenden Fachkräftemangels unternehme die Industrie zu wenig gegen die Ausbildungsmisere, so Francesco Grioli, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands. Das müsse sich schleunigst ändern. „Andernfalls erreicht der Fachkräftemangel mittelfristig ein Ausmaß, das Industriebetriebe ins Ausland abwandern lässt.“

Für die pharmazeutischen Industrie haben die IGBCE und der Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) ein Positionspapier verfasst, das von der Politik konkrete Maßnahmen zur Fachkräftesicherung und -gewinnung fordert. Dazu zählen unter anderem die gezielte Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland und weitreichende Qualifizierungsmaßnahmen.

Um dem grassierenden Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen, hat die IGBCE eine Reihe an Maßnahmen beschlossen und durchgesetzt gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft. Denn nur mit ausreichend gut qualifizierten Fachkräften lässt sich der Wandel sozial gerecht und wirtschaftlich erfolgreich gestalten.