
Foto: Maren Schulz
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die vergangenen vier Jahre haben die Welt nachhaltig erschüttert – und das Leben der Menschen im Eiltempo verändert. In Deutschland, in Europa, weltweit. Pandemie, Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, Energiekrise, Rekordinflation, politische Verwerfungen – und als Krönung die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. All das wirkt tief in die Gesellschaften hinein, ins wirtschaftliche genauso wie ins private Leben.
Der bisher ungelöste Handelskonflikt mit den USA, verbunden mit Drohungen und drastischen Zöllen auf Industrieimporte, stellt eine erhebliche Unsicherheit für die exportorientierte deutsche Wirtschaft dar. In zahlreichen Branchen hat sich die Lage im Berichtszeitraum dramatisch zugespitzt: Investitionsstopps, Stellenabbau, Werksschließungen und Kurzarbeit sind bittere Realität – auch in vielen Bereichen der IGBCE.
Auch innenpolitisch stand Deutschland unter Druck wie selten zuvor. Die vorgezogene Bundestagswahl im Jahr 2025 hat die politische Fragilität des Landes deutlich gemacht. Polarisierung, Vertrauensverluste und ungelöste Strukturprobleme bestimmten das Bild. Inmitten dieser greifbaren Unsicherheit war die IGBCE ein verlässlicher Anker – eine Stimme der Vernunft, eine Schutzmacht für ihre Mitglieder und eine stabilisierende Kraft in bewegten Zeiten.
Investitionsstopps, Stellenabbau, Werksschließungen und Kurzarbeit sind in vielen Bereichen der IGBCE bittere Realität.
Gleichzeitig schritt die industrielle Transformation ungebremst voran, getrieben von Digitalisierung, Klimapolitik und demografischem Wandel. Die IGBCE war in dieser Phase nicht nur Krisenmanagerin, sondern auch treibende Kraft für Wandel, Erneuerung und soziale Ausgestaltung. Bereits zu Beginn des russischen Angriffskriegs stand die IGBCE fest an der Seite der Beschäftigten. In der Diskussion um ein mögliches Gasembargo machte sich die Organisation für Versorgungssicherheit stark und warb für pragmatische Lösungen. Die Beteiligung der IGBCE an der Gaskommission führte schließlich zu spürbaren Entlastungen für Millionen Haushalte und Unternehmen. Besonders die Branchen der IGBCE litten unter den massiv gestiegenen Energiepreisen, den unterbrochenen Lieferketten und dem Rückgang der Produktion.
All diese schwierigen Entwicklungen hat die Gewerkschaft aber nicht bloß kommentiert – sie hat ihnen politisch, tariflich und organisatorisch aktiv etwas entgegengesetzt und das Land geprägt: Die Einführung von Gas- und Strompreisbremsen, die Durchsetzung von Inflationsausgleichen sowie tarifliche Erhöhungen bildeten zusammen einen wirksamen Schutzschild gegen sozialen Abstieg.
Doch Transformation bedeutet mehr als das Krisenmanagement. Es ist vor allem eine Gestaltungsaufgabe. Mit den Reformprozessen KLAR – also inhaltlich und programmatisch – sowie STARK – organisatorisch und strukturell – hat sich die IGBCE einem umfassenden Modernisierungsprozess gestellt. Dabei setzt die Organisation auf moderne Beteiligungsformate und einen konsequent mitgliedsorientierten Ansatz. Die zum 1. Januar 2026 beschlossene Fusion der Landesbezirke Nordrhein und Westfalen, der Ausbau des Mitgliederservices sowie neue Strategien zur Erschließung wachsender Branchen zeigt: Die IGBCE handelt mit Weitblick – und sie erzielt Wirkung.
Auch industriepolitisch bringt sich die IGBCE aktiv ein. In Gesprächen mit der Bundesregierung und durch Mitwirkung in verschiedenen strategischen Formaten hat sie konkrete Entlastungen und Unterstützungsmaßnahmen angestoßen – mit besonderem Fokus auf energieintensive Branchen. Es ging um Investitionssicherheit, die Stabilisierung von Standorten und den langfristigen Erhalt industrieller Wertschöpfung in Deutschland. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen konnten so wichtige Fortschritte erzielt und der industrielle Kern Deutschlands gestärkt werden.
Mit der Gründung des Kompetenzzentrums Bildung und der Agenda Bildung 2030 plus hat die IGBCE die gewerkschaftliche Bildungsarbeit im Jahr 2024 grundlegend modernisiert. Sie ist heute digitaler, flexibler und praxisnäher aufgestellt. Hunderte Webinare, hybride Lernformate, aktualisierte Schulungen für Vertrauensleute und neue politische Bildungsangebote unterstützen die Mitglieder – insbesondere zu den Themen Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demokratie. Bildung bleibt damit das Fundament gewerkschaftlicher Handlungsfähigkeit – und die kluge Antwort auf Fachkräftemangel, gesellschaftliche Spaltung und Transformation der Arbeitswelt.
In unsicheren Zeiten ist die IGBCE ein verlässlicher Anker und eine Stimme der Vernunft.
Die Chemietarifrunde 2024 war ein tarifpolitischer Meilenstein. Erstmals wurde in einem großen Flächentarifvertrag eine klare Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern festgeschrieben. Seitdem erhalten IGBCE-Mitglieder einen zusätzlichen freien Tag pro Jahr. Das ist ein starkes Zeichen der Wertschätzung – und ein konkreter Vorteil gewerkschaftlichen Engagements. Die Regelung sorgte bundesweit für Aufmerksamkeit und führte zu einem deutlichen Anstieg neuer Mitgliedschaften. Sie zeigt: Wer Tarifverträge möglich macht, hat Anspruch auf greifbare Vorteile. Und: Tarifbindung braucht sichtbare Mitgliedschaft.
Auch auf europäischer Ebene ist die IGBCE enorm aktiv. Gemeinsam mit industriAll Europe, dem Europäischen Gewerkschaftsbund und den Partnergewerkschaften vertritt die IGBCE die Interessen der Beschäftigten in den energie- und klimapolitischen Prozessen der EU. Angesichts des Green Deals, der Carbon-Leakage-Debatte und wachsender Wettbewerbsherausforderungen setzt sich die Gewerkschaft in Brüssel und Berlin für einen industriellen Deal ein, der Transformation und Beschäftigung zusammen denkt. Die Botschaft dabei ist eindeutig: Europas industrielle Zukunft braucht Mitbestimmung, soziale Leitplanken und umfangreiche öffentliche Investitionen.
Die IGBCE steht für eine offene, solidarische und demokratische Gesellschaft – das ist das Fundament ihrer gewerkschaftlichen Arbeit. Deshalb bezieht die Organisation klar Stellung gegen die AfD. Diese Partei spaltet, grenzt aus und stellt Grundwerte der Gewerkschaftsbewegung massiv infrage. In den von der IGBCE organisierten Betrieben und Gremien ist daher kein Platz für Rechtsextremismus, Rassismus oder autoritäres Denken. Gemeinsam mit dem DGB und zahlreichen zivilgesellschaftlichen Bündnispartnern zeigt die IGBCE daher klare Kante – auf der Straße, in Resolutionen und in der Bildungsarbeit. Auch hier ist die gewerkschaftliche Botschaft unmissverständlich: Gemeinsam verteidigen wir die Demokratie. Und die Gewerkschaften schützen alle, die in ihrer Vielfalt unsere Arbeitswelt und unser Land bereichern.
Die unterschiedlichen Krisen haben einmal mehr deutlich gemacht, worauf es in schwierigen Zeiten ankommt: auf Solidarität, auf Haltung und auf eine handlungsfähige Interessenvertretung. Die IGBCE war in herausfordernden Zeiten stets eine verlässlicher Partnerin – in den Betrieben, in der politischen Arena und in der Gesellschaft. Ob bei Industriegipfeln in Berlin oder Brüssel, bei der Unterstützung Geflüchteter oder in der gelebten Sozialpartnerschaft – die Organisation hat Verantwortung übernommen und konkrete Ergebnisse erzielt.
Aber auf diesen Erfolgen kann und darf sich die IGBCE nicht ausruhen. Auch die kommenden Jahre werden von tiefen Umbrüchen und großer Unsicherheit geprägt sein. Technologischer Wandel, geopolitische Spannungen und eine beschleunigte Transformation verlangen nach Orientierung und Stabilität. Es braucht daher eine IGBCE in Bestform. Die Zukunft gestaltet und Sicherheit organisiert – im Betrieb, im Alltag und in der Gesellschaft.
Dafür stehen wir: klar, stark und solidarisch.
Wir danken allen Mitgliedern, Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, die diesen Weg mit uns gehen. Die Herausforderungen bleiben groß – aber wir sind vorbereitet:
Für eine IGBCE, die den Wandel gestaltet.
Für eine Industrie, die auch in Zukunft Wohlstand schafft.
Und für Mitglieder, die wissen: Auf ihre Gewerkschaft ist Verlass.
Glückauf!
Michael Vassiliadis
Vorsitzender
Birgit Biermann
Stellv. Vorsitzende
Alexander Bercht
Francesco Grioli
Oliver Heinrich