
Mit einer Diskussionsveranstaltung hat die IGBCE 2024 ihre diplomatische Offensive in Brüssel gestartet.
Foto: dpa/Bernal Revert
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Die Kräfte
international
neu gebündelt
Die IGBCE hat ihre weltweite Arbeit grundlegend neu geordnet und dabei neben bilateralem Austausch und internationaler Solidarität neue Schwerpunkte gesetzt. So wurde 2024 in Brüssel ein eigenes Europa-Büro eingerichtet.
Nach der Zeitenwende und dem russischen Angriff auf die Ukraine galt es auch für die internationale Arbeit der IGBCE, die Kräfte neu zu bündeln. In der Folge wurden thematisch Schwerpunkte vor allem in den Bereichen EU Green Deal, Just Energy Transition sowie bei Lieferkettengesetzen und globalen Konzernen gesetzt. Neu in der internationalen Arbeit der IGBCE war ab dem Jahr 2023 die Fokussierung auf die politische Arbeit auf EU-Ebene. Seit 2021 war eine Stärkung der Präsenz in Brüssel angestrebt worden und seit Februar 2024 hat die IGBCE dort nun ein eigenes Büro, welches die Interessen der Beschäftigten im Organisationsbereich der IGBCE vertritt.
Die IGBCE befasste sich mit dem Aufbau eines umfangreichen Netzwerkes vor Ort, der Etablierung erster Veranstaltungen und der Suche nach geeignetem Personal. Die inhaltlichen Schwerpunkte richten sich danach, inwieweit die IGBCE-Branchen von EU-Regulierungen betroffen sind. Dabei geht es in erster Linie um Klima- und Umweltpolitik, insbesondere Chemikalienpolitik, Handelspolitik, Energiepolitik, Wettbewerbspolitik und europäische Mitbestimmung.
Die IGBCE hat ihre länderübergreifende Kooperation mit der norwegischen Energie- und Industriegewerkschaft Styrke gestärkt.
Foto: Denis Lochte
Die IGBCE ist inzwischen fest als Akteurin in Brüssel verankert und in ständigem Austausch mit Vertreter*innen des Europäischen Parlaments, Abgeordneten der demokratischen Parteien, der Europäischen Kommission und des Rates. Die Europawahlen im Juni 2024 und der Amtsantritt der neuen Kommission eröffneten die Möglichkeit, von Beginn an Akzente zu setzen. Bei der feierlichen Büroeröffnung im September 2024 war eine Vielzahl neuer und schon länger für die EU tätiger Europaabgeordneter anwesend. Wenige Tage nach der Wahl der Europäischen Kommission im Dezember 2024 war die IGBCE bereits im Gespräch mit dem Kabinett des Industriekommissars. Ebenfalls im Dezember fand ein persönliches bilaterales Treffen des IGBCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen statt.
Die Zusammenarbeit mit den wichtigsten Industrie- beziehungsweise Unternehmensverbänden sowie Unternehmen orientiert sich an der Kooperation in Deutschland. Diese Zusammenarbeit ist kein Selbstzweck, sondern strategisch an der Arbeit für die Mitglieder der IGBCE ausgerichtet. Wo es Interessenüberschneidungen gibt, wird gemeinsam für Positionen geworben. Das gilt in erster Linie dort, wo es um die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Industriestandorte geht. Dabei bleibt die kritische Distanz gewahrt. Zu Fragen der Mitbestimmung, konkreter der Revision der EBR-Richtlinie oder der Sorgfaltspflichten für Unternehmen, grenzt sich die IGBCE klar von der Kapitalseite ab. Das Europa-Büro der IGBCE arbeitet konstruktiv mit den Brüsseler Büros des DGB und der IG Metall zusammen und stimmt sich regelmäßig ab.
Die Verbindung zu Betrieben, Bezirken, Gremien und Abteilungen ist für die Arbeit der IGBCE in Brüssel von zentraler Bedeutung. Im Rahmen der Europawahlkampagne fand Austausch vor Ort und online mit Bezirks- und Landesbezirksvorständen statt. Besuche von Betriebsrät*innen im Rahmen der Mitbestimmungstagung von IGBCE und Hans-Böckler-Stiftung sowie Tagungen bringen die Kompetenz von Betriebsrät*innen direkt nach Brüssel zu den Entscheidungsträger*innen.

Gewerkschaftsvertreter wie IGBCE-Chef Michael Vassiliadis (rechts) und rund siebzig Konzernchef*innen aus fast zwanzig energieintensiven Branchen haben im Februar 2024 die Antwerpener Erklärung für einen „Industrial Deal“ unterzeichnet.
Foto: Cefic
Engagierter Arbeitskreis Internationales der IGBCE-Jugend
Um die Europapolitik mit den Mitgliedern vor Ort zu verknüpfen, wurde die Europawahl 2024 auch mit einer eigenen IGBCE-Kampagne begleitet. Knapp vierzig Veranstaltungen in ganz Deutschland wurden umgesetzt unter dem Motto „Projekt Zukunft geht nur mit Europa“. Auch die IGBCE-Jugend beteiligte sich. In der Folge wurde die Arbeit des Arbeitskreises Internationales der IGBCE-Jugend wieder verstetigt, es werden unter anderem Projekte und Kooperationen mit Schwestergewerkschaften im Ausland vorangetrieben.
Diese länderübergreifende gewerkschaftliche Kooperation war und bleibt Kernaufgabe der internationalen Arbeit. Michael Vassiliadis leitet den europäischen Dachverband industriAll Europe seit seiner Gründung im Jahr 2012. Damit wird die IGBCE ihrem Anspruch gerecht, nicht nur für die eigenen Mitglieder einzustehen. Mit der Teilnahme von 14 Delegierten bei der Halbzeitkonferenz des Verbandes in Thessaloniki im Sommer 2023, den regelmäßigen Sitzungen des Exekutivausschusses und der Mitarbeit von fast zwanzig Hauptamtlichen in den Gremien auf EU-Ebene wird dieser Anspruch deutlich.
Pflege und Ausbau der Kooperationen in Europa
Daneben wurden bestehende Kooperationen in Europa gepflegt und ausgebaut, etwa zur Chemiegewerkschaft CFDT-FCE aus Frankreich oder zur Chemie- und Energiegewerkschaft FILCTEM-CGIL aus Italien. Neu geschlossen wurde die Kooperation mit der norwegischen Energiegewerkschaft Styrke. Sie und die IGBCE eint der pragmatische Blick auf die Notwendigkeiten zur Energietransformation, die Versorgung mit Gas, den Hochlauf von Wasserstoff sowie die Nutzung und die Lagerung von CO2 (CCSU). Auf EU-Ebene wurden weitere Projekte umgesetzt, zum Beispiel das EU-geförderte Projekt „Next Step: Transition“ zum gerechten Übergang in der Energiewirtschaft mit Partnern aus Belgien, Italien, Bulgarien und Spanien, die Zusammenarbeit in den Arbeitskreisen EU und Internationales des DGB oder die Teilnahme am Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) 2023 in Berlin.
Und auch global hat die IGBCE viel umgesetzt. Die Mitarbeit und die Kooperation im Dachverband IndustriALL Global inklusive der Teilnahme an den Halbzeitkonferenzen in Kapstadt im Juni 2023 sowie beim ITUC-Kongress im Herbst 2022 zählen hierzu. Auch die 5. Internationale Konferenz über Chemikalienmanagement (ICCM5) in Bonn im September 2023 wurde von der IGBCE begleitet. Hier wurde mit der Bonner Erklärung ein neuer globaler Rahmen für das integrierte Management von Chemikalien und Abfällen verabschiedet. Dieses neue Rahmenwerk beruht auf dem SAICM-Prozess (Strategic Approach to International Chemicals Management) und wird vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen getragen. Es basiert auf 28 Zielen und stellt einen Fahrplan für Länder und Interessengruppen dar, um den Lebenszyklus von Chemikalien, einschließlich Produkten und Abfällen, gemeinsam anzugehen und nachhaltig zu gestalten.

Auf Tuchfühlung mit internationalen Gewerkschaften wie IndustriALL-JAF in Japan.
Foto: Hannes Hauke Kühn

Auch die länderübergreifende Kooperation mit Petrol-Is, einer der größten Industriegewerkschaften in der Türkei, hat die IGBCE ausgebaut.
Foto: Hannes Hauke Kühn
Brumadinho-Dammbruch in Brasilien beschäftigt die IGBCE weiter
Eine global vernetzte Gewerkschaftsbewegung wurde insbesondere vor dem Hintergrund neuer Lieferkettengesetze immer wichtiger. Dass die Durchsetzung von Menschenrechten teilweise nur durch Solidarität funktioniert, zeigt die IGBCE mit der Übernahme einer Prozessstandschaft – das ist die Befugnis, fremde Rechte im Prozess im eigenen Namen geltend zu machen – für die Opfer des Brumadinho-Dammbruchs in Brasilien. Auch nach sechs Jahren ist der Fall nicht aufgelöst, doch die IGBCE setzt sich dafür ein, dass der TÜV Süd seiner Verantwortung für diese Katastrophe gerecht wird.
Einen Schwerpunkt beim Thema Lieferketten setzt die vom 7. Ordentlichen Gewerkschaftskongress beschlossene und Ende 2024 umgesetzte Weiterführung der Globalisierungsexpert*innen. Die Gruppe von Betriebs- und Aufsichtsräten der chemisch-pharmazeutischen Industrie verschaffte sich vor Ort in São Paulo einen Eindruck davon, wie die Gewerkschaftskooperation die Situation der Beschäftigten in der Lieferkette praktisch verbessern kann. In Brasilien, einem der engsten Partner der IGBCE weltweit, soll auch in Zukunft mit einem von der deutschen Außenwirtschaftsförderung unterstützten Projekt die Rolle des sozialen Dialogs in den Lieferketten gestärkt werden.
Deutscher Kohleausstieg als Vorbild für andere Länder
Eine große Chance hierzu bietet seit September 2024 der Einsatz eines „Union Scouts“ der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bei der IGBCE. Ziel ist es, die gewerkschaftliche Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Neben den Lieferketten in Brasilien und den Rohstofflieferketten soll auch die Unterstützung anderer Gewerkschaften beim weltweiten Kohleausstieg im Vordergrund stehen. Hier wird insbesondere bei der Kooperation mit der Sintracarbón aus Kolumbien angesetzt, wo eine Delegation im Frühjahr 2023 zu Gast war. Einen gerechten Übergang zu gestalten nach dem Vorbild des deutschen Kohleausstiegs, ist das Ziel, auch in anderen Ländern der Welt.
Die gewerkschaftliche Solidarität ist und bleibt ein wichtiger Kern der Arbeit der IGBCE. So wurde der bilaterale Austausch mit den USA verstärkt und die Partnerschaft mit den United Steelworkers insbesondere vor dem Hintergrund der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump neu aufgesetzt.
Neben Solidarität mit Gewerkschaften im globalen Süden hatten insbesondere Naturkatastrophen und Grubenunglücke weltweit Folgen, beispielsweise in der Türkei im Jahr 2023. Auch die Exilgewerkschafter*innen aus Belarus hat die IGBCE aktiv unterstützt bei der Gründung ihres Vereins Salidarnast in Deutschland.
Und gerade vor dem Hintergrund der fünfzigjährigen Partnerschaft des DGB mit der Histadrut im April 2025 wurde deutlich, wie wichtig und aktuell die Solidarität mit Israel und der Kampf gegen Antisemitismus noch immer ist. Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 hat die Lage im Nahen Osten weiter eskalieren lassen. Die IGBCE steht in Solidarität zu den Gewerkschaften in Israel und wird sich weiter für eine friedliche Lösung des Konflikts und eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen.