
Foto: Caro Holzapfel mithilfe von Midjourney
Homeoffice
Chancen nutzen,
Risiken überwinden
Mehr Zeit, weniger Stress – viele Beschäftigte erleben mobiles Arbeiten als Gewinn. Doch das Homeoffice bringt auch Herausforderungen mit sich. Um diesen zu begegnen, setzt die IGBCE auf verbindliche Standards und eine starke betriebliche Mitbestimmung bei der Gestaltung mobiler Arbeitsmodelle.
Homeoffice
Chancen nutzen, Risiken überwinden
Mehr Zeit, weniger Stress – viele Beschäftigte erleben mobiles Arbeiten als Gewinn. Doch das Homeoffice bringt auch Herausforderungen mit sich. Um diesen zu begegnen, setzt die IGBCE auf verbindliche Standards und eine starke betriebliche Mitbestimmung bei der Gestaltung mobiler Arbeitsmodelle.
Das Homeoffice ist aus der modernen Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Besonders die Erfahrungen während der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass flexibles Arbeiten funktioniert – und vielfach sogar produktiver ist. Dazu kommen die Digitalisierung, die Dekarbonisierung und die demografische Entwicklung. Diese Transformationsprozesse haben erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation und die Arbeitsbedingungen gerade in den Branchen der chemisch-pharmazeutischen Industrie.
Das Homeoffice ist also gekommen, um zu bleiben. Entsprechend braucht es fundierte Erkenntnisse darüber, ob und wie das Arbeiten am heimischen Schreibtisch oder unterwegs aussieht. Das betrifft vor allem die Tätigkeit an sich, aber auch, wie sich die Unternehmenskommunikation und soziale Aspekte dadurch verändern. Daneben stehen Fragen zur Produktivität und zum tarifpolitischen Handlungsbedarf im Raum. Um Antworten darauf zu bekommen, haben die Tarifvertragsparteien Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und IGBCE im Tarifzwischenergebnis der Tarifrunde 2022 vereinbart, die Praxis des mobilen Arbeitens wissenschaftlich begleitet zu erheben.
Im ersten Halbjahr 2023 hat das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) eine Studie mit 21.000 Beschäftigten aus 66 Betrieben der Chemie- und Pharmabranche durchgeführt. Zusätzlich wurden Vertreter*innen des Personalbereichs und der Betriebsratsgremien zu weiteren wichtigen Themen wie der betrieblichen Mitbestimmung im Bereich der mobilen Arbeit befragt. Die Zahlen zeigen, dass ortsflexibles Arbeiten heute bei vielen eine Selbstverständlichkeit ist. So liegt der Anteil der Beschäftigten, die ihrer Tätigkeit teilweise mobil nachgehen, bei über 75 Prozent. Im Durchschnitt sind sie zwei bis drei Tage pro Woche nicht im Büro. Gleichzeitig würden viele von ihnen lieber mehr zu Hause arbeiten.
Der Wunsch nach größerer Flexibilität lässt sich mit den positiven Effekten des Homeoffices erklären: Knapp 90 Prozent der Befragten sagen, dass sie zu Hause mit weniger Unterbrechung und konzentrierter arbeiten können. Gut zwei Drittel haben dadurch weniger unproduktive Zeiten, was unter anderem mit geringerem Stress einhergeht.
Es geht nicht nur um gesetzliche Ruhezeiten, sondern um eine neue Kultur des Arbeitens.
Oliver Heinrich

Foto: Annette Riedl
Risiken des mobilen Arbeitens
Neben den positiven Effekten – höhere Effektivität, kein Arbeitsweg und eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben – gibt es auch Schattenseiten des Homeoffices. Knapp 13 Prozent der Beschäftigten verzichten auf mobiles Arbeiten, obwohl es ihre Tätigkeit zulassen würde. Fehlende Arbeitsmöglichkeiten zu Hause und der Wunsch nach sozialem Austausch werden häufig als Grund genannt. Zugleich gibt es Fälle, in denen die Führungskraft das mobile Arbeiten nicht genehmigt. Solche Hürden verhindern gleichberechtigte Teilhabe an modernen Arbeitsformen.
Auch bei der technischen Ausstattung offenbaren sich Defizite: Während Unternehmen oft mobile Endgeräte stellen, bleiben ergonomische Anforderungen wie ein geeigneter Schreibtisch oder ein rückenfreundlicher Stuhl meist den Beschäftigten überlassen. So werden betriebliche Kosten auf private Haushalte verlagert, während Unternehmen Büroflächen und damit Kosten einsparen.
Neben den materiellen Aspekten birgt das Homeoffice auch psychosoziale Risiken. Viele Befragte vermissen den Austausch vor Ort. Das kreative Brainstorming im Team und das spontane Gespräch in der Kaffeeküche lassen sich virtuell nur bedingt abbilden. Es besteht die Gefahr der sozialen Isolation und einer Erosion des Zusammenhalts im Unternehmen. Dieses Problem wird umso drängender, wenn Menschen die digitalen Technologien wie Videokonferenzsysteme nicht sicher bedienen können. Das trifft insbesondere ältere Beschäftigte. Zudem verwischt mobiles Arbeiten die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben. Zwar konnte die Studie zeigen, dass das Homeoffice nicht ausschlaggebend für Überstunden ist. Vielmehr ist es die Digitalisierung an sich und die damit einhergehende ständige Verfügbarkeit. Allerdings haben Angestellte zu Hause häufiger Probleme, nach Feierabend abzuschalten. Zudem führen unklare Regelungen, welche Tätigkeiten zur Arbeitszeit gehören, zu „freiwilliger“ und unbezahlter Mehrarbeit.
Mit diesem Kampagnenmotiv hat die IGBCE das Thema Homeoffice aufgegriffen.
Klare Regeln für das Homeoffice
Soziale Isolation, höhere Kosten für Arbeitnehmer*innen, ungleiche Chancen und eine zunehmende Entgrenzung – diese Themen liegen im Fokus der IGBCE im Themenkomplex Homeoffice. Die Gewerkschaft fordert entsprechende Regeln für alle Aspekte der mobilen Arbeit.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist der im Berichtszeitraum abgeschlossene Tarifvertrag Moderne Arbeitswelt (TV MoA) für die chemische Industrie. Dieser stellt Leitplanken und Rahmenbedingungen für das mobile Arbeiten auf wie das Prinzip der Freiwilligkeit und das Einhalten gesetzlicher Ruhezeiten. Aufbauend darauf wurden in vielen Firmen zusätzliche Betriebsvereinbarungen geschlossen.
Doch der Handlungsbedarf bleibt groß. Grundsätzlich sind die Arbeitgeber für produktive und gesunde Arbeitsbedingungen verantwortlich – egal ob im Büro oder zu Hause. Entsprechend stehen sie im Homeoffice in der Verantwortung, neben Technik eine gesundheitsfördernde Arbeitsplatzausstattung bereitzustellen.
Zugleich muss der wachsenden Entgrenzung von Arbeit und Privatem entgegengewirkt werden. „Die psychische Gesundheit der Beschäftigten darf nicht allein Privatsache sein“, sagt Oliver Heinrich, Tarifvorstand der IGBCE. „Wir brauchen verbindliche Zeiten der Erreichbarkeit und der Nichterreichbarkeit. Es geht nicht nur um gesetzliche Ruhezeiten, sondern um eine neue Kultur des Arbeitens, in der Pausen, Freizeit und Erholung einen festen Platz haben. Wir sehen einen klaren tarifpolitischen Handlungsauftrag.“
Damit einher geht ein Bekenntnis zum Arbeitszeitgesetz in der hybriden Arbeitswelt. Arbeitnehmer*innen müssen flexibel und an jedem Ort lückenlos ihre Zeiten erfassen können.
Gewerkschaftsarbeit im virtuellen Raum
Neben der Einführung verbindlicher Standards für das Homeoffice richtet die IGBCE ein besonderes Augenmerk auf die Mitbestimmung in der hybriden Arbeitswelt. Betriebsratsarbeit lebt vom Austausch mit den Beschäftigten. Doch die Virtualisierung erschwert diese Kommunikation. Während die interne Zusammenarbeit im Gremium und mit den Arbeitgebern gut funktioniert, fehlt häufig der direkte Draht zur Belegschaft. Der Dialog ist digital schwerer herzustellen.
Deshalb wurde gemeinsam mit dem BAVC eine Sozialpartnervereinbarung zum digitalen Zugangsrecht erarbeitet. Sie schafft die Voraussetzungen, damit Betriebsräte im virtuellen Raum präsent sind und Gewerkschaftsarbeit sichtbar bleibt. So dürfen dafür unter anderem betrieblich eingerichtete Videokonferenzsysteme genutzt werden, Schwarze Bretter im Intranet veröffentlicht und Links zu gewerkschaftlichen Informationen in betrieblichen digitalen Informationssystemen eingebettet werden. Die Vereinbarung ist ein zukunftsweisender Schritt zur Sicherung der demokratischen Mitbestimmung in der Arbeitswelt von morgen.